ANgeDACHT

Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?

(Jeremia 23,23) 

 

„Lieber Gott“? oder „Ferner Gott“?

Zuweilen wird ja kritisiert, dass allzu oft und einseitig vom „lieben Gott“ gesprochen würde. Und dass das Gericht, vor dem wir Menschen stünden, aus der Predigt geraten sei. Der ferne, also der richtende Gott müsse wieder mehr in den Blick kommen, damit die Menschen zu IHM kämen.

Häufiger begegnet mir jedoch die ganz persönliche Erfahrung, die Menschen äußern, die in schlimmen Lebensumständen stecken und denen ihr Leben aus den Händen zu gleiten droht. Sie beklagen sich fast verschämt und oft mit Schuldgefühlen belastet, Gott sei fern, sie könnten ihn und seine Hilfe in ihrer schweren Situation nicht wirklich erfahren. Jeremia verbindet hier beides: Auf der einen Seite beklagt er Gottes Ferne, denn er fühlt sich von Gott alleine gelassen, obwohl er doch gerade wegen seines Einsatzes für Gott verfolgt, misshandelt und nach Ägypten verschleppt wird, wo er verschollen bleibt. Sein persönliches Erleben steht dabei vor dem Hintergrund gewaltiger politischer Umwälzungen: König Joschija zentralisiert den Kult auf Jerusalem, während alle anderen Heiligtümer zwangsweise aufgegeben werden; in Kriegen versucht Ägypten den Aufstieg Babylons zu stoppen, und das geteilte Israel steht als Spielball und Kriegsschauplatz zwischen den beiden Supermächten; schließlich wird der Jerusalemer Tempel, immerhin der Ort der Gegenwart des Gottes Israels, 587 v. Chr. endgültig zerstört, und die Oberschicht Israels wird nach Babylon deportiert. All das sieht Jeremia als Folge der Gottesferne seines Volkes. Und so klagt Jeremia neben seiner persönlichen Gottesferne seine Prophetenkollegen an, die behaupten, Gottes Willen zu verkünden, ohne jedoch von Gott Visionen, Gesichte empfangen zu haben. Und so würden diese Propheten dem Volk nach dem Maul reden, um ihren eigenen Bauch zu füllen. „Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing“ gewissermaßen. Ganz anders aber sei es doch: „Wie Feuer“ und „wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt“, so gibt Jeremia Gottes „Original-“Wort weiter (Jer 23,29). Und dieses Wort soll zur Umkehr rufen, bevor alles zu spät sei.

In der Bibel bleibt Jeremia mit seinem Ringen um die Nähe Gottes nicht alleine – und im heutigen Leben wäre er es sowieso nicht. Vielmehr ist Gottesferne eine (zeitweilige) Grunderfahrung menschlichen Lebens: Mose, Jona, Jesaja, Johannes der Täufer, die Pharisäer beklagen Gottesferne je auf ihre Weise und nach ihren Erfahrungen. Und selbst Jesus klagt in seiner Sterbestunde: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Markus 15,34) Dabei ist mit Jesus von Nazareth, dem Sohn Gottes, Gott so leicht zu erreichen wie wahrscheinlich nie zuvor: Nicht nur ist die anbrechende Nähe Gottes der Kern seiner Verkündigung, und darum lädt er ohne jede Vorbedingung zu Gott ein oder stellt die Gemeinschaft mit Gott selbst her, wo Menschen unfähig sind, Schritte auf Gott zuzumachen. Vielmehr noch ist Gott mit Jesus Christus Mensch geworden, auf die Erde gekommen und für jeden und jede erreichbar und erfahrbar geworden, der Christus vertraut. Nichts, nichts anderes als dieses Vertrauen muss man mitbringen, damit Gott nah ist. Das weitere Leben mit ihm wird dann immer zahlreichere und tragfähige Erfahrungen von Gottes Gegenwart mit sich bringen und auch konkrete Auswirkungen auf die Art des Lebens haben. Immerhin fordert Jesus zu einem Leben als Weg hin zur Vollkommenheit heraus (Mt 5,48). Vor einem Leben aber, das sich zum Guten wendet, steht die Gemeinschaft mit Gott. Und die steht jedem offen.

Ich grüße Sie/Euch herzlich!

 

Pastor Thorsten Kelm

Ihr Pastor
Thorsten Kelm 

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